Mit Löwenmut ins KI-Zeitalter?
- Christoph Heilig
- 20. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Den Papst als Figur im KI-Showdown, wie in Dan Simmons Hyperion/Endymion, das hatte ich tatsächlich auch ich nicht auf der Bingo-Karte für 2025. Warum mir, einem evangelischen Theologen, Leo XIV in der momentanen Situation jetzt aber durchaus Mut macht, will ich im Folgenden kurz erklären.

"Leo" heißt er also, der neue Papst. Ein Löwe, ein Starker, einer der Mut hat, den Mächtigen dieser Welt die Stirn zu bieten - so die sofortige Hoffnung vieler, als der neue Papst bekanntgegeben wurde. Gut nachvollziehbar, dass man sich angesichts der gegenwärtigen Krisen nach einer solchen Figur sehnt, auch wenn man nicht zum Kirchenvolk gehört. Aber vielleicht ist so ein Name dann doch ein eher schwaches Fundament für ausgewachsene Utopien? Immerhin, dass die Konklave einen zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt hat, der - so scheint es zumindest - schon in sozialen Medien mit kritischen Verlautbarungen gegen die aktuelle US-amerikanische Migrationspolitik aufgefallen ist, könnte man als sachte Bestätigung der Optimisten deuten. Als jemand, der sich in seiner Forschung schon genau mit der Frage beschäftigt hat, wie christlicher Glaube als Quelle von Widerstand gegen unterdrückerische Machtstrukturen dienen kann, werde ich diese Dynamiken auf jeden Fall gespannt verfolgen. Als evangelischer Theologe hat man ja auch den Vorteil, hier erstmal abwartend reagieren zu können, sich nicht gleich als Cheerleader positionieren - und nach eventueller Ernüchterung erklären - zu müssen. Ganz so bequem möchte ich es mir in einer Hinsicht aber nicht machen: Wie der neue Papst sich nämlich direkt zum Thema "Künstliche Intelligenz" positioniert hat, beeindruckt mich tatsächlich sehr. Ich habe schon oft darüber geklagt, dass wir noch keinen Diskurs zur Frage haben, wie wir als Gesellschaft unsere Zukunft in Anbetracht der KI-Entwicklung gestalten wollen - und wie frustrierend es ist, dass die Politik mit Volldampf auf ein KI-Zeitalter zusteuert, zu dessen Ausgestaltung sie sich noch gar keine Gedanken gemacht hat. Die Diskussionen, die wir haben, sind größtenteils von Unkenntnis des technisch bereits Machbaren und Absehbaren geprägt. Das führt zu Scheindebatten - und genau das fällt wachen Mitmenschen freilich auf. Man darf sich nicht wundern, wenn die den Eindruck bekommen , es sei in Sachen KI eh alles Spekulation, durchschaubar substanzlos sowohl der Hype als auch die Horror-Szenarien, mit denen um Aufmerksamkeit gebuhlt wird. Das ist fatal, denn innerhalb eines bestimmten Rahmens ließe sich durchaus schon realistisch abschätzen, was auf uns zukommt, und fruchtbar diskutieren, wie wir damit umgehen wollen.
Und genau hier ist meiner Meinung nach auch die Theologie gefragt, denn KI fordert nicht nur religiöse Erklärungsansprüche noch mehr heraus als dies seit der Aufklärung ohnehin schon der Fall ist, sondern umgekehrt verlangt die Sprache, die im Hinblick auf KI-Entwicklungen immer mehr bemüht wird, auch kritische Rückfragen vor dem Hintergrund einer Theologiegeschichte, die reichlich Erfahrung damit hat, wie Kategorien wie etwa Allwissenheit ge- und missbraucht werden können!
Bisher fällt mir der Beitrag aus theologischer Perspektive zu dieser Thematik aber noch zu mager aus. Ich will nicht kleinreden, was an systematisch-theologischen Arbeit etwa zur Anthropologie bereits geleistet wurde - vieles davon ist relevant. Ich finde es auch positiv, dass die theologische Ethik schon früh einen Fokus auf Spezialanwendungen von KI, etwa in der Medizin, gelegt hat. Es scheint mir auch gar nicht verkehrt, wenn einzelne, wie etwa der Ethiker Peter G. Kirchschläger - einer der wenigen Expert:innen aus der Theologie, der regelmäßig Stellung zu KI bezieht - sich speziell dem Thema der Regulierung verschreiben. Aber die ganze Geschichte kann das doch nicht sein.
Das zeigt in meinen Augen etwa schon dieser aktuelle Artikel, in welchem ausgerechnet Sam Altman als Gewährsmann für Kirchschlägers Modell einer KI-UNO-Agentur angeführt wird. Es hat schon eine gewisse Ironie, wenn man das in diesem Artikel entworfene Szenario mit dem Bild abgleicht, das nur wenige Tage später über die TV-Bildschirme flimmerte: Sam Altman an der Seite von Donald Trump, der in den Golfstaaten quasi als US-Repräsentant für KI-Deals auftritt - während im Hintergrund der "Big Beautiful Bill" vorbereitet wird, der einfach so mal jegliche KI-Regulierung für die nächsten 10 Jahr verbieten soll - ziemlich genau die Zeitspanne, die es nach Ansicht von Sam Altman brauchen wird, um eine Superintelligenz zu erschaffen, mit der dann diese menschlichen Einmischungsversuche ohnehin obsolet würden. Das zeigt in meinen Augen: Was auch immer mit Unterstützung von Leuten wie Altman an Regulierung an den Start gebracht würde, wäre zumindest seinem Unternehmen gegenüber so zahnlos, dass es der Rede nicht wert wäre. Ich bin unter anderem schon daher pessimistisch, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Fehlentwicklungen schlicht durch KI-Regulierung vorbeugen zu wollen. Die Politik ist dafür zu naiv, die KI-Industrie zu einflussreich. Vor diesem Hintergrund finde ich es äußerst vielsagend, wie der neue Papst selbst seine Aufgabe mit Verweis auf den letzten Träger seines Namens begründet:
Pope Leo XIII, with the historic Encyclical Rerum novarum, addressed the social question in the context of the first great industrial revolution ... Today, the Church offers to all her treasure of social teaching in response to another industrial revolution and the developments of artificial intelligence.
Was ich an diesem kurzen Zitat wirklich bemerkenswert finde, ist, dass es einen realistischen Blick für die Zukunft offenbart - eine nicht beschönigende Anerkennung sich tatsächlich abzeichnende Veränderungen - und zugleich daraus die in meinen Augen richtige Ebene der Reaktion identifiziert. Es wird nicht geleugnet, dass KI einschneidende Konsequenzen mit sich bringen wird. Stattdessen liegt der Fokus darauf, Deutungsangebote für das menschliche Selbstverständnis in dieser Zeit der Verunsicherung zu unterbreiten.
Ob der Papst hier Innovatives leisten wird oder den genannten Erfahrungsschatz zumindest plausibel aktualisieren wird, wird man natürlich erst absehen müssen. (Manches, was der Papst in der kurzen Zeit seit seiner Wahl zum Thema KI hat verlauten lassen, ist freilich recht erwartbar; siehe etwa hier zu recht typischen Aussagen aus kirchlicher Sicht.) Aber immerhin ist das Thema auf der Agenda und immerhin scheint Papst Leo eine Perspektive einzunehmen, die von einer Weitsicht zeugt, welche den meisten Stimmen in Politik und Kultur noch fehlt. Das macht durchaus Mut.
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