KI-Gamifizierung: Mit Paulus gegen Caesar durch das Römische Reich
- Christoph Heilig
- 17. Apr.
- 4 Min. Lesezeit

Ich teile auf meinem Blog immer wieder (etwa hier) auch sehr kritische Überlegungen zur KI-Entwicklung - beziehungsweise dazu, wie wir als Gesellschaft damit umgehen ... oder es auch umgehen, uns überhaupt mit den Herausforderungen zu beschäftigen. Ein wenig nehmen einem diese Sorgen den Spaß daran, spielerisch zu erkunden, wozu die Technologie heute schon in der Lage ist. Ein beeindruckendes Beispiel für ein ganz praktisches Anwendungsbeispiel möchte ich heute aber trotzdem mal teilen. Als Dozent an der Universität interessiere ich mich natürlich sehr für pädagogische Konzepte, unter anderem auch für die viel beschworene (Vor- und Nachteile habende) "Gamifizierung" des Lernprozesses. Jede und jeder, der oder die andere unterrichtet, hat sicher schon darüber nachgedacht, wie er oder sie die Lehre interessanter gestalten kann. Ein Computerspiel für die Schüler:innen oder Student:innen oder andere Lernende zu entwickeln, hatten aber vermutlich bisher die wenigsten als Möglichkeit auf dem Schirm, erforderte dies doch gehörige Spezialkenntnisse - bis jetzt. Neuere große Sprachmodelle sind nämlich wirklich erstaunlich gut darin, interaktive Web-Spiele zu entwickeln.
Ethan Mollick brachte mich konkret neulich durch einen Post auf die Idee, ein LLM ein Spiel zu einem meiner wissenschaftlichen Aufsätze kreieren zu lassen. Ich arbeite ja viel zur Frage, wie die frühen Christ:innen die gefährliche Situation im römischen Reich navigiert haben (siehe etwa hier). Nun habe ich gerade einen neuen Aufsatz dazu fertiggestellt, wie das Geschichtenerzählen dazu diente, auf subtile Weise die in der griechisch-römischen Gesellschaft dominierenden Narrative herauszufordern. Ich habe dieses Manuskript mit einem ganz simplen Prompt an Claude 3.7 von Anthropic übergeben ("Create a fun interactive computer game on the basis of the following paper"). Das Ergebnis, das mir sofort geliefert wurde, hat mich schwer beeindruckt. Man kann hier ganz einfach auf das Artefakt zugreifen und es spielen. So sieht die Oberfläche aus:

Das Ganze gibt es auch - nach einem weiteren Prompt - auf Deutsch (wenn auch etwas holprig übersetzt) hier.
Nun muss man freilich dazu sagen: Das funktioniert deswegen so gut, weil die einzelnen notwendigen Code-Bausteine quasi 1:1 so im Trainingsmaterial vorliegen. Es ist sicherlich nicht so, dass sämtliche Spielentwickler:innen jetzt plötzlich vor der Arbeitslosigkeit stehen.
Zugleich sollte man die Bedeutung eines solchen Ein-Prompt-Spiels auch nicht herunterspielen. Man darf nicht vergessen, wie das Programmieren eines solchen Spiels noch vor kurzem ausgesehen hätte. Ethan Mollick hat hier einen schönen Vergleich bereitgestellt: Während ChatGPT damals noch recht große Probleme hatte, die Schiffskatalog aus Homer, Illiad 2.494-759 als interaktive Karte umzusetzen, gelingt es dem KI-Agenten Manus heute auf Anhieb. Entsprechend muss man auch ganz klar sagen, dass bis vor Kurzem ein Spiel wie das hier präsentierte ohne gehörige Vorkenntnisse auch unter Zuhilfenahme eines großen Sprachmodells schlicht nicht erstellbar gewesen wäre. Die eigentlichen wirtschaftlichen Konsequenzen des Potenzials, das große Sprachmodelle auch jetzt schon mitbringen, sehen wir auch noch gar nicht. Die Liste der Webseiten vergleichbarer Qualität, die noch heute für Tausende Euro täglich in Auftrag gegeben werden, ist riesig. (Um mal gar nicht erst von den Hunderttausenden zu sprechen, welche die Bundesregierung noch vor kurzem in die Entwicklung von Spielen gesteckt hat - wie etwa diesem oder jenem.)
Vor allem verdient aber in meinen Augen Beachtung, wie kreativ mein Aufsatz hier weitergedacht wurde. Die Grundidee, die hinter der Umsetzung als Spiel steckt - also die Dynamik, dass man auf der einen Seite Punkte gewinnt, je mehr "Einfluss" man in der Gemeinde bekommt, dass man andererseits aber auch Minuspunkte dafür kassiert, wenn man unliebsame Aufmerksamkeit auf sich zieht - ist einfach klasse. Das ist genau die Art Zwickmühle in der eine Person wie der Apostel Paulus gesteckt haben wird. Und ich denke, dass ein großer Mehrwert für Studierende darin liegt, wenn sie durch ein solches Spiel für diese Problematik (die uns heute in unserer bequemen Situation so gar nicht betrifft!) sensibilisiert werden.
Dazu kommt grundsätzlich noch das Potenzial, auf diese Weise auch historische Fakten und Zusammenhänge zu vermitteln. Dazu müsste man freilich noch etwas nachbessern, denn manche der von Claude auf die Schnelle entworfenen Szenarien sind historisch recht unsauber (der römische Triumphzug wurde etwa nur in Rom gefeiert!). Aber auch hier sollte man sich vor akademischer Überheblichkeit hüten. Denn einerseits finde ich es schon ganz schön beeindruckend, dass das Spiel je nach Lokalität eine Aktion (aufgrund unterschiedlich großer römischer Präsenz) historisch sensibel mit unterschiedlichen Risiken rechnet. Das ist eine durchaus gelungene Umsetzung eines Arguments meines Aufsatzes, das in der Forschung bisher zu wenig berücksichtigt wird.
Und schlussendlich steckt in den historischen Verzerrungen auch eine durchaus heilsame Herausforderung von Voraussetzungen, mit denen wir als Historiker:innen arbeiten. Wir vergessen nämlich in unserer Arbeit oft nur zu gerne, dass wir anachronistische Kategorien an unsere Quellentexte herantragen, welche für Menschen in der Antike oft nicht nachvollziehbar gewesen sein dürften. Es stimmt also schon, dass im Spiel manche religiöse Vorstellung und manches politische Ereignis aus dem griechisch-römischen Umfeld "falsch" konzeptualisiert ist. Es ist aber andererseits gar nicht so unrealistisch, dass jemand wie Paulus - der seine Umwelt aus nächster Nähe, dafür aber mit entsprechend eingeschränktem Blickwinkel, analysiert haben wird - teilweise mit einer ganz ähnlich verzerrten Wahrnehmung in die Interaktion mit römischer Reichsideologie eingetreten sein wird.
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